"ein seltsam unruhiges Stück in h-Moll"

Zur rhythmischen Struktur im Benedictus der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach

Autor/innen

  • Siegfried Maier

DOI:

https://doi.org/10.52412/mf.2012.H2.149

Abstract

Untersucht wird die widersprüchliche Gestalt des Benedictus in Bachs h-Moll-Messe. Einerseits erscheint die Komposition, besonders in den Vokalteilen, über weite Strecken fast wie musikalische Prosa, auf der anderen Seite sind die zahlreichen rhythmischen und melodischen Korrespondenzen nicht zu übersehen. Zum Zweck der Klärung wird zunächst die Position der Kadenzen und Absätze festgestellt, deren unregelmäßige Verteilung für den Eindruck der musikalischen Prosa verantwortlich ist. Anschließend wird auf den charakteristischen Polonaisenrhythmus eingegangen, dem ein zweiter synkopischer Rhythmus gegenübergestellt wird. Bei aller Vielfalt der rhythmischen Gestalten wird die Polonaise als die charakteristische Bewegungsart des Benedictus identifiziert. Vor diesem Hintergrund wird auf das Verhältnis von tänzerischem Rhythmus und Textdeklamation eingegangen, bevor ausführlich die periodische Gliederung des Benedictus analysiert wird. Schließlich wird auch die Annahme der aktuellen Bachforschung diskutiert, dass es sich bei dem Benedictus, wie bei der Mehrzahl der Sätze in der h-Moll-Messe, wahrscheinlich um eine Parodie handelt. Diese These beruht zumeist auf äußerlichen Anzeichen wie dem Reinschriftcharakter des Autographs. Hier werden anhand einer Analyse der kompositorischen und insbesondere der rhythmischen Faktur Hinweise auf eine nachträgliche Überarbeitung der Gesangstimme im zweiten Vokalteil aber auch im ersten Vokalteil festgestellt. Bei diesen Überlegungen geht es nicht darum, eine frühere Gestalt der Komposition auch nur annäherungsweise zu rekonstruieren. Das Ziel ist vielmehr, die gegebenen Strukturen besser zu verstehen. Diese sind gekennzeichnet durch den Widerspruch zwischen einem dem Polonaisencharakter entsprechenden regelmäßigen rhythmischen und periodischen Grundschema - das jedoch an mehreren Stellen durch Erweiterungen und Auslassungen gestört wird – einerseits und einer über weite Strecken wie Prosa anmutenden melodischen Gestaltung an der Oberfläche andererseits. Eine angemessene musikalische Interpretation hätte beide Aspekte zu berücksichtigen, wobei extrem langsame Tempi ebenso zu vermeiden wären wie die einseitige Forcierung des tänzerischen Charakters.

bms online (Beatrix Obal)

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Veröffentlicht

2021-09-22