Alphorntöne als Vehikel musikästhetischer Reflexion

Kuhreihen-Erfahrung bei Lord Byron und Jean Paul

Autor/innen

  • Rafael Rennicke

DOI:

https://doi.org/10.52412/mf.2010.H4.255

Abstract

Das Phänomen Erinnerung steht seit mehreren Jahren im Fokus geisteswissenschaftlicher Forschung. Eine musikwissenschaftliche Untersuchung aber, die den Zusammenhang von Musik und Erinnerung von Grund auf beleuchtet, gibt es bisher nicht. Ausgehend von Jean-Jacques Rousseau zeigt sich, dass das Erinnern im Musik-Erleben mithin genauso denk- und reflexionswürdig ist wie das Erinnern in der Musik und die während des Hörens geweckte Erinnerung ebenso bedeutsam wie die musikalisch ins Werk gesetzte. Ein Passus aus Rousseaus "Dictionnaire de musique" (1768) darf hierfür im Hinblick auf das Nachdenken über den Zusammenhang von Musik und Erinnerung den Rang eines Gründungsdokuments beanspruchen. Er verweist auf ein Phänomen, dessen exzeptionelle Bedeutung für das Musikverständnis und das künstlerische Denken im 19. Jahrhundert noch gar nicht recht ins Blickfeld der Musikwissenschaft getreten ist: die Wirkung des Schweizer Kuhreigens (Ranz des vaches). Alphorntöne und der mit ihnen fast untrennbar verbundene Kuhreigen war in das musikalische Denken der Jahrzehnte um 1800 gleichsam verstrickt. An ihnen entzündete sich die Diskussion einer neuen Hierarchie der Sinne sowie in der Folge eine neue Wahrnehmung des musikalischen Tones, und so avancierten sie zu einer Quelle ästhetischer Einsicht, zum Katalysator einer neuen Musikanschauung. Die romantische Kuhreigen-Erfahrung repräsentiert damit einen der Schlüsselmomente in der Empfindungs- und Ideengeschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts.

bms online (Cornelia Schöntube)

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Veröffentlicht

2021-09-22