Beweis oder Vermutung?
Zur Publikation der Bach zugeschriebenen Weimarer Tabulaturblätter
DOI:
https://doi.org/10.52412/mf.2008.H4.508Abstract
Die im Jahre 2007 faksimilierten Weimarer Orgeltabulaturblätter enthalten u.a. zwei um 1700 notierte Faszikel mit Kompositionen Reinckens und Buxtehudes, die nach Meinung der Herausgeber Michael Maul und Peter Wollny als "die frühesten Notenhandschriften Johann Sebastian Bachs" zu gelten hätten. Die Auffassung, hier sei Bachs frühe Hand faßbar, erscheint jedoch zweifelhaft, weil einmal die desperate Überlieferungslage früher Bachscher Schriftzeugnisse kaum Vergleiche erlaubt, sodann die verglichenen Schriftbilder teilweise durchaus voneinander abweichen und die Autoren auch aufgrund fiktiver Bachscher Schriftstadien argumentieren. Es kommt schließlich dazu, daß ein autographes Bachsches Kolophon auf Faszikel I die angeblich von Bachs Hand stammende Tabulaturniederschrift ausdrücklich als Leistung Georg Böhms bezeichnet; dieses Kolophon wird von den Autoren zwar richtig übersetzt, aber die zugehörige Tabulatur als eine Niederschrift Bachs "bei" Böhm interpretiert. Da diese nur entweder von Bach oder von Böhm stammen kann, bleiben alle Bemühungen, in dieser Quelle eine direkte persönliche Nähe Bachs zu Böhm dokumentiert sehen und gar die musikalische Jugendgeschichte Bachs neu schreiben zu wollen, spekulativ und ungewiß. Schließlich weist der Aufsatz auf äußerliche Ähnlichkeiten der fraglichen Niederschriften zu solchen der Möllerschen Handschrift hin, welche die Weimarer Notationen eher in die Nähe zu Bachs Bruder Johann Christoph in Ohrdruf rücken.