Richard Wagners Begriff der "dichterisch-musikalischen Periode"

Autor/innen

  • Rainer Kleinertz

DOI:

https://doi.org/10.52412/mf.2014.H1.65

Abstract

Gemessen am Gesamtumfang des Schrifttums über Wagner nehmen Studien zu grundsätzlichen Fragen der Analyse von "Form" / "Formen" seiner Musik einen zahlenmäßig untergeordneten Rang ein. Dies könnte nicht zuletzt auch ein Problem der Begrifflichkeit sein, mit der sich das Spezifische der Musik Wagners überhaupt beschreiben ließe. Neben dem Begriff "Motiv" beziehungsweise "Leitmotiv" ist derjenige der "dichterisch-musikalischen Periode" der einzige von Wagner geprägte Begriff. Seiner Bedeutung für die Analyse von Wagners Werken wird im Folgenden nachgegangen. - Ausgehend von Wagners Verwendung von Begriffen wie "Versmelodie" und "Tonart" wird zunächst herausgearbeitet, dass in seinen Opern "musikalische Modulation" stets in Verbindung mit dem Versinhalt auf Empfindungen zurückleitet. Aus entsprechend sprachlich motivierten Modulationen aus einer Grundtonart heraus eröffnen sich neue Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks. Im nächsten Schritt werden Auffassungen von Wagners Periodenbegriff in der Forschungsliteratur erörtert (Alfred Lorenz, Carl Dahlhaus, Peter Petersen, Thomas S. Grey, Werner Breig). Diese werden anhand von Wagners Opern (insbesondere "Der Ring des Nibelungen") sowie den musiktheoretischen Äußerungen des Komponisten (vor allem in "Oper und Drama") auf ihre Tragfähigkeit überprüft. Dabei wird festgehalten, dass das Problem der Motivation von Modulationen durch das Drama für Wagner ein zentrales harmonisches Effektmittel war. Bereits in "Oper und Drama" betonte er, dass der Musiker bei Versen gleicher Empfindung keinen Grund habe, die Tonart zu verlassen. Diesen Grund liefert erst der Wechsel der Empfindungen, die er in seinen Ausführungen zur "dichterisch-musikalischen Periode" formuliert. Der von Wagner geprägte Begriff taugt nicht nur zu Beschreibung einzelner, tonal mehr oder weniger geschlossener Gebilde, sondern vermag auch das Bewusstsein für ein Grundprinzip Wagners im "Ring" zu schärfen: die aus dem "Drama" motivierte Modulation.

bms online (Beatrix Obal)

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Veröffentlicht

2021-09-22