Bd. 9 (2010): Normierung und Pluralisierung. Struktur und Funktion der Motette im 15. Jahrhundert
Herausgegeben von Laurenz Lütteken unter Mitarbeit von Inga Mai Groote.
Die Gattung der Motette hat im 15. Jahrhundert einen bedeutenden Wandel erlebt. Für die Zeit um 1400 lässt sich noch relativ leicht eine normative Formulierung des Gattungsparadigmas erkennen, und zwar in den komponierten Werken selbst. In der Zeit um 1500 ist die Situation bis zur Unübersichtlichkeit schwierig – ohne dass damit ein Verlust an Systematik verbunden gewesen ist. Der hier angedeutete Prozess, der etwa die Zeit zwischen Dufays Geburt und den ersten gedruckten Motettenbüchern Petruccis umfasst, ist in der Forschung des öfteren beschrieben worden. Doch sind Erklärungsmodelle bisher praktisch nicht erprobt worden. Offenbar hängt die erstaunlich feinnervige Pluralisierung der Gattung im 15. Jahrhundert zusammen mit einer ebenso subtilen funktionalen Differenzierung, die abhängig ist von Institutionen, liturgischen, para- oder außerliturgischen Kontexten, von poetologischen, zeremonialen und regionalen Besonderheiten, schließlich von den Modi der Aufzeichnung und der Distribution. Der bedeutende Strukturwandel lässt sich folglich als Interaktion der verschiedensten Parameter verstehen. An diesem Punkt setzen die hier veröffentlichten Beiträge an, wobei erstmals versucht wird, dieser Interaktion dezidiert nachzuspüren.